GuKG-Novelle 2009: Systemische Missstände sind nicht durch Abstriche bei den Pflegequalifikationen zu lösen.
Lösung: Abkehr vom Unrechtssystem, Aufwertung der Qualifikationen und Zivilcourage gegen Schönrederei!
Leserreaktionen zum BIZEPS-Artikel “Volle Blase? Bitte warten!” (Text siehe ganz unten):
Antwort auf Leserbeitrag von “fraza” (Text siehe unten):
lieber herr oder frau fraza,
ich glaube, sie verstehen hier einiges nicht ganz richtig.
die verantwortung ist groß
natürlich bin ich mir bewusst, dass jetzt hier und heute pflegeabhängige menschen hilfe brauchen. und “wir” müssen nicht warten auf irgendeine gesetzesänderung!
das ist ja gerade der skandal, dass diese berufe so unterbezahlt sind, so als wäre eine pflegerische oder sozialpädagogische betreuung von behinderten menschen weniger wert als zb eine ärztliche behandlung! ich finde, die verantwortung ist mindestens gleich groß!
real existierende pflegequalifikation
schön wäre es, wenn das land nö eine umfassende ausbildung verlangen würde, ich wurde mit dem gegenteil konfrontiert, eine angelernte hilfskraft (grundberuf tankstellenpächterin) machte alleine nachtdienst in einer wohngruppe behinderter menschen vorwiegend pg 6 und 7 !
unrechtssystem: aussonderung pflegebedürftiger und ausbeutung pflegender, es geht auch anders
warum sollten die angehörigen NICHT ALLES machen dürfen?
ich bin froh, dass das so ist, leider bekommen die angehörigen nicht die anerkennung (bezahlung), die ihnen für diesen wertvollen dienst zusteht. in schweden ist das kein problem und das system funktioniert auch ohne so viele heime wie im hinterwäldlerischen österreich, hier werden stolz immer noch heime gebaut für menschen, die dort gar nicht hinwollen (aber müssen…).
gefährdende und unverantwortliche situation
ich bin froh, dass nicht jeder betreuer jedem ein essen geben darf – weil das wäre viel zu gefährlich!
man muss unterscheiden, dass es etwas anderes ist, wenn ein bestimmter betreuer einem bestimmten klienten das essen geben kann!
dieses “wohngemeinschaft-system” könnte nur dann gut funktionieren, wenn in so einer gruppe höchstens drei bis vier klienten zusammen wohnen und wenn es ein ECHTES bezugsbetreuer-system gäbe. so wie es jetzt abläuft, ist es nur eine gefährliche und unverantwortliche farce sowohl für klienten als auch für betreuer!
zu ihren letzten zeilen:
statt mängel zu beheben werden die bestraft, die pflegefehler aufzeigen
die sozialarbeiter werden schon gar nicht verurteilt/ angeklagt, vielmehr diejenigen, die fehler aufzeigen – sogar deren existenz wird zu vernichten versucht! (ich kenne mehrere beispiele).
nicht mal der betreuer, der die tochter meiner freundin so arg zugerichtet hat, ist in irgendeiner weise “verurteilt” worden. es ist ihm halt passiert. nicht mal die leitung dieser einrichtung wird geprüft, ob sie vielleicht diesem studenten gar nicht erlauben hätte dürfen, eine klientin mit pg 7 zu baden!
er arbeitet immer noch, so als ob nichts passiert wäre. es ist wahrscheinlich sogar so, wenn jemand sterben würde aufgrund eines pflegefehlers, würde das nichts ausmachen – nach dem unausgesprochenen motto: “es sind ja eh nur die behinderten”. da gelten andere regeln, scheinbar! leider!
schönrederei kann nur durch zivilcourage und druck aufgedeckt werden
ich hoffe, es wird nicht mehr lange so weitergewurstelt wie jetzt – auf dem rücken aller beteiligten.
ich hoffe, die verantwortlichen politiker bekommen genug druck, dass es endlich akzeptable lösungen gibt, denn so wie es jetzt läuft, ist es eine katastrophe, die dauernd nur schöngeredet wird!
dieser druck müsste nicht nur von den betroffenen und deren besorgten angehörigen kommen, sondern vielmehr von jenen, die sich tagtäglich in dieser “grauzone” (illegalität) befinden!
aber solange alle den mund halten, brav mitmachen, wird eben weitergewurstelt.
ohne zivilcourage wird es keine änderungen geben!
Postings im Forum von BIZEPS-INFO: nr=9918#fid10467 & nr=9918#fid10468 5. August 2009 10:27 & 10:20 Uhr
BIZEPS-Posting von “fraza“ (4. August 2009 23:08 Uhr)
Sehr geehrte Fr. Lichtenauer!
Ihr Aufzeigen von Mißständen ist richtig, nur vergessen sie die Menschen die jede Minute auf Betreuung und Pflege angewiesen sind, heute, jetzt. Sollen wir auf eine Gesetzesänderung warten und zusehen wie unsere Behinderten (Entschuldigung) verrecken. Dann werden wir uns auch in Zukunft in Grauzonen bewegen.
Vom Land NÖ wird verlangt dass in Einrichtungen das Personal eine umfassende Ausbildung hat, nur zeigen sie mir eine dipl. Pflegerin die für einen immer noch niedrigen Lohn diese Arbeit verrichten möchte.
Wir haben ja noch immer die Situation dass pflegende Angehörige zu Hause ALLES machen dürfen und der Betreuer in den Behin.Einrichtung nicht einmal das Essen geben dürfte. Würde man aufstehen und sagen, das darf ich nicht und das auch nicht und jenes sowieso nicht, ein ganzes System würde zusammenbrechen.
So wird auf dieser Schiene wahrscheinlich die nächsten Jahre weitergewurschtelt. Kommt es zu Mißständen wird ab und zu ein Sozialarbeiter verurteilt, weil ganz wegschauen dürfen die Politiker natürlich nicht, sonst verlieren sie noch den letzten Rest an Verantwortung, schließlich haben sie ja ein ? Gesetz gemacht.
.
Artikel bei BIZEPS-INFO – Text: Dr. Franz-Joseph Huainigg (29. Juli 2009)
Volle Blase? Bitte warten!
Wenn berufsständische Interessen vor die Bedürfnisse behinderter Menschen gestellt werden, bleibt die Blase voll, der Darm unentleert und die Atemkanüle lebensbedrohlich verstopft.
Luise F. lebt in einer oberösterreichischen Wohngruppe für behinderte Menschen. Wenn sie durch die Hitze etwas zu viel Wasser getrunken oder zu viel wasserhältiges Obst gegessen hat, kann es sein, dass plötzlich schon um 15:00 Uhr ihre Blase voll ist. Obwohl sie es könnten, darf keiner der BehindertenbetreuerInnen sie katheterisieren.
Luise muss bis 18:00 warten, dann kommt die mobile Krankenschwester und mit ihr die Erleichterung. Bis dahin heißt es Schmerzen aushalten, spastische Krämpfe ertragen und eventuell sogar Gesundheitsschäden durch den Urinrückstau in die Nieren riskieren.
Man muss der Tatsache ins Auge sehen, dass nicht alle behinderten Menschen zu Hause leben können. Wenn man große Pflegeheime durch kleine Wohngemeinschaften und kleine Wohngruppen (bis zu 8 Personen) ersetzen möchte, muss man auch die Rahmenbedingungen für die Pflege behinderter Menschen entsprechend ihren Bedürfnissen adaptieren.
In familienähnlichen Wohnstrukturen kann nicht rund um die Uhr eine Pflegefachkraft auf Abruf bereit gestellt werden. Daher ist es notwendig, dass pflegerische Tätigkeiten für eine bestimmte behinderte Person in der WG von einer Pflegefachkraft an eine/n BetreuerIn delegiert werden können.
In der Novelle 2008 zum Gesundheits- und Krankenpflegegesetz (GuKG) konnte das wichtige Delegationsprinzip geschaffen werden. Dadurch können pflegerische Tätigkeiten von Pflegefachkräften an PersonenbetreuerInnen im Rahmen der 24-Stunden-Betreuung und an persönliche AssistentenInnen delegiert werden. Es ist völlig unverständlich, warum man ausgebildete BehindertenbetreuerInnen in Wohngruppen vom Delegationsprinzip noch immer ausschließt. Die derzeitige gesetzliche Regelung im GuKG führt zu teilweise absurden Situationen in Wohngemeinschaften:
Ein Abführzäpfchen darf nur die diplomierte Fachkraft verabreichen, auch einfache Verbände dürfen trotz Infektionsgefahr von BehindertenbetreuerInnen nicht gewechselt und sogar die Atemkanüle darf bei Verschleimung nur von einem diplomierten Krankenpfleger abgesaugt werden. Sogar bei Notfällen ist ein entsprechender mobiler Dienst zu kontaktieren. Wer weiß, dass bereits nach drei Minuten ohne Atmung Gehirnschäden auftreten, sieht die Irrationalität dieser Regelungen.
Betont sei, dass es hier nicht um Qualität geht. Denn eine Beatmungskanüle gut und fachgerecht absaugen, können nach einer Einschulung persönliche AssistentInnen genauso wie pflegende Angehörige. Es liegt an der Pflegegewerkschaft anstatt überholte Berufspfründe abzusichern, ein funktionierendes Case- und Care-Management aufzubauen. Dadurch würden nicht nur behinderte Menschen sondern auch Pflegefachkräfte durch neue Aufgabenbereiche profitieren.
Die Nagelprobe zwischen berufsständischen Interessen und den Grundbedürfnissen behinderter Menschen passierte im Ministerrat, wo die GuKG-Novelle auf der Tagesordnung stand.
Der wichtige Zugang zum Ausbildungsmodul der Basisversorgung wurde für BehindertenbetreuerInnen im letzten Moment vom Gesundheitsministerium aus dem Begutachtungsentwurf gekippt. Ebenso findet sich kein Ansatz eines Delegationsprinzips. Bestehendes wird festbetoniert, Flexibilisierungsansätze fehlen. Es braucht dringend eine GuKG-Reform, aber nicht diese!
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