Wird die grundrecht-lose österreichische Bundesverfassung nach 90 Jahren endlich generalsaniert?
Führt nun der europäische Integrationsprozess zur Etablierung von Grundrechten in Österreich?
Die überfällige Staats- und Verfassungsreform – eigentlich eine Behebung des Nachkriegs-Provisoriums aus den Trümmern der Monarchie nach dem Ersten Weltkrieg – ist seit Jahren durch realpolitische Zwangsjacken gegen eine nötige, tiefgreifende Verwaltungsreform blockiert. Jahrelanges Ringen des Österreich-Konvents um Lösungen steckt in den Feuchtgebieten österreichischer Niederungen fest.
Die Zeit drängt
Hoffentlich wird der Leidensdruck “Der Krise” als Chance genutzt, kostspieligen Ballast abzuwerfen. Wann sonst, wenn nicht jetzt?
Zwangsbeglückung erforderlich
Braucht(e) es für die Überführung des “Befindlichkeits- und Beliebigkeits-Rechtsstaats” in einen Grundrechts-Staat erst die Aufgabe der nationalen Souveränität, dass Österreich durch die EU (und UN) von außen endlich bürgerliche und soziale Grund- und Freiheitsrechte “aufgedrückt” bekommt?1
Dieser Schluss liegt zumindest nahe, wenn wir die Ausführungen des Bundespräsidenten in seiner Festrede beim 50. Österreichischen Juristentag (06.05.2009) betrachten.
Besteht noch Hoffnung?
Sehen wir es tatsächlich einmal positiv: Der Herr Bundespräsident drückt einen Handlungsbedarf aus, der seit dem Jahr 1920 besteht, die österreichische Bundesverfassung um die “Nebensächlichkeit” von bisher fehlenden Grundrechten, insbesondere sozialen Grundrechten, zu ergänzen. Dem Staatsoberhaupt ist für diese Positionierung tatsächlich zu danken, wenn er mit Nachdruck seines Amtes eine staatspolitische Absicht zum Ausdruck bringen wollte. Immerhin ist Einsicht bereits der halbe Weg zur Besserung.
Die fatalen Folgen des Provisoriums
Dieser Makel, der immer noch provisorischen Bundesverfassung, erklärt vermutlich rein formal so manche unverständliche Judikatur unserer Höchstgerichte bzw. deren Entscheidungsverweigerungen. Verständnis kann der Bürger jedoch dafür nicht aufbringen, bietet dies doch den notorischen Unterstützungsverweigerern in den für Soziales zuständigen Bundesländern – der Staatszielbestimmung im Artikel 7 (B-VG) und einer Unzahl von internationalen Verpflichtungen der letzten 60 Jahre spottend – genügend Schlupflöcher zu ungehinderter Ausübung obrigkeitlicher Diskriminierung, behördlicher Willkür und systemisch institutionalisierter Gewalt gegen hilfebedürftige Menschen.
Verantwortlichkeit aller Staatsorgane
Nach meinem Verständnis vom „rechtsstaatlichen Prinzip“, einem (sehr wohl gültigen!) Grundpfeiler unserer Verfassung, ist nicht nachvollziehbar, dass im Laufe der Jahrzehnte, seit der UN-Menschenrechtscharta (1948) über die Europäische Sozialcharta (1969), UN-Kinderrechtskonvention (1989), Europäische Grundrechtscharta (2000), bis hin zur UN-Behindertenrechtskonvention (2008), alles scheinheilig unterschrieben, beigetreten und ratifiziert wurde, dies jedoch nur dem guten Schein dienen soll?
Ignorante Rechtsstaats-Heuchelei
„Im Namen der Republik Österreich“ wurde bereits in vielen Staatsakten die „gewissenhafte Erfüllung der darin enthaltenen Bestimmungen“ feierlich versprochen, auf Durchsetzungsrechte verzichtete man aber (ganz bewusst?) auf weiten Strecken. Sogar die Verfassungsbestimmung, die allen öffentlichen Körperschaften eine Benachteiligung aufgrund Behinderung (und anderer Diskriminierungsgründe) im Artikel 7, B-VG (1997) ausdrücklich untersagt, wird seit 12 Jahren in Gesetzgebung und Vollzug ignoriert.
Hilfe von ausserhalb?
Als zu optimistisch, betrachte ich daher die in seiner Rede zum Ausdruck gebrachte Hoffnung des Herrn Bundespräsidenten, dass sich Österreich durch Druck des möglicherweise doch noch in Kraft tretenden Vertrags von Lissabon (inkl. Europäische Grundrechtscharta) von der jahrzehntelang eingeübten Heuchelei scheinbarer Paktfähigkeit in internationalen Verträgen, gerade im Sozialbereich, abbringen lässt.
Unsere gemeinsame Verantwortung
Wie lange dauert der Weg Österreichs zum Rechtsstaat noch, wann übernimmt die Republik (das regierende Volk) endlich Verantwortung und beweist Vertragstreue für eingegangene Verpflichtungen? [URL entfernt, Anm.]
“Für behördliche Gnadenerweise gibt es im Rechtsstaat keinen Platz." — mehr”
— Gerhart Holzinger, Präsident des Österreichischen Verfassungsgerichtshofes (VfGH)
“Teilhabe ist keine Gnade, sondern ein Menschenrecht. Wer Teilhabe verweigert, verstößt somit gegen Menschenrechte." — mehr”
— Hubert Hüppe, Behindertenbeauftragter der dt. Bundesregierung
.
“Auch die Sozialgesetze haben sich an den Grundrechten freier und gleich berechtigter Bürger zu orientieren.”
— mehr
“Wer Menschen mit Behinderung zwingt oder nötigt, in speziellen Wohnformen oder sogenannten "Heimen" zu leben, verletzt allgemeine Menschenrechte.”
— Nach UN-BRK Artikel 19 — mehr
“Verweigerung bedarfsdeckender Mittel zur Sicherung der Not-wendigen Pflege, Betreuung oder Assistenz von hilfe- und pflegebedürftigen Menschen im selbst gewählten Lebensraum ist Unrecht!”
— mehr
“Vertretern von Politik und Verwaltung, die das weiterhin ignorieren möchten, seien darauf hingewiesen, dass sie vorsätzlich und fortgesetzt allgemeine Menschenrechte verletzen und dies verantworten werden müssen!”
— mehr
“Wissentlicher oder (auch eventual-) vorsätzlicher Amtsmissbrauch eines Beamten oder Anstiftung dazu, ist, wenn andere an ihren Rechten geschädigt werden, kein Kavaliersdelikt, sondern ein Verbrechen!”
— Nach § 302 StGB
“In Österreich werden Menschen mit alters- oder behinderungsbedingtem Hilfebedarf und ihre Angehörigen elementarer Grundrechte beraubt. Sie werden vorsätzlich, wiederholt und anhaltend benachteiligt.”
— mehr
“Wer die klaren Forderungen der UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen noch immer missachtet, verletzt allgemeine Menschenrechte und untergräbt den Rechtsstaat. Das gilt auch für Niederösterreich!”
— mehr
“Wir werden unserer Verantwortung als solidarische Gesellschaft nicht gerecht, wenn die “Lebensaufgabe”, ein behindertes Kind (oder pflegebedürftigen Angehörigen) gleichberechtigt am Leben teilhaben zu lassen, sehr häufig zur Lebens-”Aufgabe” wird.”
— mehr
“Die Landesregierungen verhalten sich noch immer so, als dürften sie sich noch lange über Verfassung u. Grundrechte hinwegsetzen und Rechtsansprüche weiterhin durch willkürliche Gnadenakte ersetzen.”
— mehr
“Es reicht schon sehr lange! Genug der Lippenbekenntnisse, an euren Taten werdet ihr gemessen! Euer Hochmut u. Ignoranz gegenüber Menschenwürde und Menschenrechten stank schon so gewaltig zum Himmel, ...”
— mehr
— Gerhard Lichtenauer, Österreichische Bürgerinitiative “Daheim statt Heim” [URL entfernt, Anm.]
Postings im Forum von BIZEPS-INFO zu den Artikeln:
“Bundespräsident Fischer unterstützt soziale Grundrechte”
http://www.bizeps.or.at/news.php?nr=9655#fid10038 31. Mai 2009 01:10 Uhr
“Österreich-Konvent: Scheitern oder Durchbruch?”
http://www.bizeps.or.at/news.php?nr=5671#fid10040 31. Mai 2009 10:02 Uhr
- Nachtrag: Was die Methodik anbelangt, werden Erinnerungen an ost-nachbarstaatliche Ersuchen um “Bruderhilfe” wach. ↩
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