“Vorwürfe gegen Pflegeheim” Artikel vom 21.10.2008 in den ‘Salzburger Nachrichten’ (www.salzburg.com)
Anzeige: Behinderte Menschen sollen in einem Heim durch Mängel beim Personal Schäden erlitten haben – mit dem Wissen der Behörden.
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Vorwürfe gegen Pflegeheim
Anzeige. Behinderte Menschen sollen in einem Heim durch Mängel beim Personal Schäden erlitten haben – mit dem Wissen der Behörden.
Anja Kröll Weistrach (SN). Die Familie spricht von einem Skandal. Im Pflegeheim versichert man, keine Fehler gemacht zu haben. Und die Staatsanwaltschaft will den Fall nicht kommentieren. Die Rede ist von angeblichen Missständen in einer Wohngemeinschaft des „Hauses der Barmherzigkeit Integrations Team“ (HABIT) im niederösterreichischen Kirchstetten. Erhoben werden die Vorwürfe von Gerhard und Charlotte Lichtenauer, den Eltern der schwerstbehinderten Katja.
Die Vorgeschichte: Vor 19 Jahren nahm das Ehepaar Katja auf, ein damals leicht behindertes Mädchen. Bis es im Alter von dreieinhalb Jahren in eine Art Dämmerzustand fällt und rund um die Uhr Hilfe braucht. Die Eltern pflegen Katja 15 Jahre lang zu Hause. Bis 2005 die Belastung zu groß und Katja im HABIT untergebracht wird – ein auf die Pflege von schwerstbehinderten Menschen spezialisiertes Heim.
„Ungesetzlicher Rauswurf“
Dort bleibt Katja gerade einmal sieben Wochen. Dann wird sie, so sehen es die Lichtenauers, hinausgeworfen. Dieser „rechtswidrige Betreuungsabbruch“ ist nur einer von vielen Vorwürfen, die die Familie im April 2008 in einer Anzeige zum Ausdruck bringt: „Im Kern geht es darum, dass nicht ausreichend qualifiziertes bzw. befugtes Personal zur Verfügung stand (. . .) Diese prekäre Personalsituation (. . .) stellt eine Vernachlässigung Unmündiger und Gefährdung von deren Gesundheit dar.“ Im SN-Gespräch erklärt Gerhard Lichtenauer: „Es gab Pflege-, Betreuungs-, Hygiene- und Strukturmängel. Das hatte Auswirkungen auf Katjas Gesundheit.“ Sie leide dadurch verstärkt an epileptischen Anfällen und Haltungsschäden.
HABIT-Geschäftsführer Wolfgang Waldmüller kennt die Vorwürfe. Eine Gesundheitsgefährdung durch das Personal schließt er aus. „Wir haben einen Personalschlüssel von eins zu eins: Auf einen Bewohner kommt ein Mitarbeiter. Und unsere Leute sind sehr gut ausgebildet.“ Damit steht Aussage gegen Aussage. So ist das auch im Fall von Sabina Frühmann. Zwei Jahre verbringt ihr an Knochenschwund leidender Sohn Samuel in derselben Wohngemeinschaft wie Katja. Nach einem Beinbruch muss er zehn Wochen einen Gips tragen. Seither, so der Vorwurf der Mutter, „kann Samuel nicht mehr sitzen. Ich vermute, dass er zu wenig durchbewegt wurde“. Nun wird Samuel wieder zu Hause betreut.
Auch im Fall Frühmann weist die HABIT Betreuungsmängel zurück. Der Fall sei – wie der Fall Lichtenauer – mehrfach überprüft worden. Ergebnis: keinerlei Defizite. Beteiligt an den Prüfungen waren die niederösterreichische Patientenanwaltschaft, der Landesverein für Sachwalterschaft und Bewohnervertretung sowie die Sozialabteilung des Landes. Gerhard Lichtenauer spricht von „Scheinprüfungen“. „Ich glaube, dass das Land Niederösterreich bewusst nichts gegen die Missstände in der HABIT-Einrichtung unternommen hat. Ein Indiz ist, dass nicht die Wohngruppe, die angezeigt worden war, sondern eine völlig andere geprüft wurde“, sagt er und geht noch einen Schritt weiter: „Katjas gesetzeswidriger Rauswurf war mit den Behörden abgesprochen. Das war Amtsmissbrauch.“ Offenbar habe man die Kritiker loswerden wollen, um Missstände zu verbergen.
Familie vor dem Ruin
Das Land Niederösterreich weist die Anschuldigungen entschieden zurück. „Es gab keine Packelei. Wir haben sogar unangekündigt geprüft“, sagt Martin Wancata, Leiter der Sozialabteilung. Und: „Es wurde nie eine andere Wohngemeinschaft als die von Katja geprüft.“ Ein Amtsmissbrauch sei also auszuschließen? „Soweit meine Recherchen zeigen, ja“, sagt Wancata. Wie es mit der Anzeige weitergeht, wollte die Staatsanwaltschaft St. Pölten gegenüber den SN nicht kommentieren.
Katjas Eltern hoffen auf eine baldige Lösung. Da die Betreuung der unterdessen 20-Jährigen so intensiv sei, können beide Elternteile nicht arbeiten gehen. „Wir stehen existenziell am Abgrund, leben von 1500 Euro Pflegegeld im Monat.“ Denn während die Kosten im Heim (bis zu 5500 Euro) übernommen würden, werde bei der Pflege zu Hause nur ein Bruchteil ersetzt. Und der Rest? Lichtenauer: „Den bezahlen meist die Angehörigen. Mit sozialer Isolation, körperlicher Erschöpfung oder finanziellem Ruin.“
„Für die Pflege zu Hause
wird nur ein Bruchteil des
Aufwandes ersetzt.”
© SN/SW
Letzte Überarbeitung: 18.05.2012
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