Finanzierung von Pflege, Betreuung und Assistenz sichern … [Teil 1]
Themen:
- Überlegungen zur Pflegefinanzierung werden sehr kurzsichtig, nur in Geldbeträgen abgehandelt. Eine Gesamtbilanz wird nicht betrachtet und der “Human-Profit” bleibt unberücksichtigt.
- Das vorherrschende Denkmuster heutiger Politik geht nicht auf ethische Grundwerte, sondern auf menschenverachtende Vorstellungen und Theorien der “Eugenik” des ausgehenden 19. Jahrhunderts zurück, die den modernen Ökonomismus bestimmen.
- Der Wert eines Menschen und seines Lebens wird nach seiner Leistungsfähigkeit bemessen. Unterstützungen richten sich nicht nach dem Bedarf, sondern nach dem Nutzen.
- Wir brauchen neue Denkansätze, die vom höchsten Hilfebedarf ausgehen und diesen bedarfsgerecht zu lösen suchen. Die Lösungskonzepte für “leichtere Fälle” liegen damit auch schon vor.
NR-Abg Dr. Franz-Joseph Huainigg, ÖVP-Sprecher für Menschen mit Behinderung, präsentiert in den drei Wochen bis zur NR-Wahl am 28.09.2008 auf seiner Homepage 21 Positionen, Forderungen und Wünsche zur Behindertenpolitik.
Hier in Katja’s Blog meine Diskussionsbeiträge im FJH21-Forum – Link zu allen meinen Beiträgen: katja.at/tag/fjh21
Beitrag DsH_ad_FJH21-13_1 (2008.09.24-11:21):
Position 9: Weiterentwicklung des Pflegesystems durch Österreichfonds … [Teil 1] (FJH- Originaltext siehe unten)
Die Finanzierungsfrage braucht grundlegend neue Denkansätze
Behinderte und alte Menschen, die auf Pflege, Betreuung und personelle Hilfen und Unterstützungen in den Alltagshandlungen existenziell angewiesen sind, sowie ihre pflegenden Angehörigen und Nahestehenden, stellen eine gesellschaftliche Minderheit dar, der man sich zwar zu Wahlkampfzeiten verbal und finanzmarginal zuwendet, die in den entscheidenden politischen Handlungen jedoch nichts als Verhöhnung erleben, Benachteiligung, Ausgrenzung und Ausbeutung erleiden müssen.
Dieser Bereich wird von den meisten politisch Verantwortlichen (Werte-Orientierung hin oder her), leider immer noch fast nur von den Kostenaspekten her betrachtet. Beim Thema der Finanzierung wird, völlig kurzsichtig, nur in Geld- “Töpfen” und “Quellen” gedacht. Zum “Human-Profit” – den unzähligen gesellschaftlichen Teilhabe-Aspekten, positiven Auswirkungen und volkswirtschaftlich lukrativen Rückflüssen – reicht das Denk- und Vorstellungsvermögen offensichtlich nicht aus.
Ein auf nackte Geldbeträge reduzierter Ökonomismus hat die Politik vergiftet und spottet jeglicher Werteorientierung. Der Gestaltungsauftrag der Politik wird somit grob vernachlässigt. Niemand braucht sich wundern, wenn das Image ihrer Exponenten immer mehr sinkt und ihre Existenzberechtigung gar in Frage gestellt wird.
Das unausgesprochene, aber bestimmende Paradigma “moderner” Politik sind die über 120 Jahre alten Denkansätze der “Eugenik”. Dem gesunden und leistungsfähigen Menschen wird der Vorzug (z.B. mit finanziellen Mitteln und medizinischer Versorgung) gegeben. Vor sieben Jahrzehnten führte dies im Gräuel-Regime der Nationalsozialisten über “Erbgesundheitspflege” und Zwangsterilisation zur Vernichtung und “Vermeidung” der auf bloße “Kostenfaktoren” reduzierten und somit den “gesunden Volkskörper” belastenden Menschen.
Im Zuge der Entnazifizierung wurden diese Denkweisen aus dem Abgrund menschlicher Egoismen leider nicht aufgearbeitet oder genügend geächtet. Mit Gedenk- Tagen und Stätten an den Horror zu erinnern, meinte man, die derzeitigen Generationen reinwaschen zu können. Dieser Ungeist treibt somit heute noch, ungehindert bis hinein in alle Ebenen von Verwaltung und Gesetzgebung, sein Unwesen. In unserer heutigen postethischen Gesellschaft fallen, nach diesen verstaubten Grundsätzen des vorvorigen Jahrhunderts, behinderte Menschen reihenweise (nach Möglichkeit lückenlos) zum Opfer: Durch vorgeburtliche Rasterfahndung nach Leistungsfähigkeits- Kriterien ausselektiert, werden mittlerweile gesellschaftlich weitgehend akzeptiert, behinderte Kinder – des Lebensrechtes beraubt – dem gesamtgesellschaftlichen Wohlstand geopfert.
Durch Verweigerung solidarisch getragener und bedarfsdeckender Unterstützungen für hilfebedürftige Menschen, steuern wir nach dieser Logik von “survival of the fittest” auf dem längst schon eingeschlagenen Weg der Kultur des Todes, in den nächsten Jahrzehnten geradewegs auf eine an Horror nicht zu überbietende Euthanasiegesellschaft zu. Im Interesse, auch von uns heute (noch) “Starken”, sei ernstlich gefragt: Wollen wir das wirklich?
Diese unverblümte Gesellschaftskritik stelle ich hier ganz bewusst in den Zusammenhang mit der Finanzierungsfrage (und nicht zur FJH21-Position 5 – “Schadensfall” oder Position 6 – “Eugenische Indikation”), weil ich damit einen blinden Fleck des “christlich-sozialen” bürgerlichen Lagers ansprechen möchte. Eine Meta-noia aus christlicher und/oder solidarischer Gesinnung ist dringend nötig!
Wir brauchen grundlegend neue Denkansätze, die den gesamten (wachsenden) Hilfebedarf im Auge haben und die Probleme von den schwersten Fällen, dem so genannten “Rest”, her zu lösen beginnen (Prinzip von Prof. Klaus Dörner). Bisher wurde der Weg des geringsten Aufwandes gegangen: Wo es leicht geht und wenig kostet (oder von starker Lobby gefordert wird), darf integriert und die Bedürfnisse einigermaßen befriedigt werden. Zu mehr reicht dann weder Geld noch politischer Wille. Auf der Strecke bleiben die Vergessenen und Verdrängten und ohnehin kaum Sichtbaren.
Mit bedürfnisgerechter Bedarfsdeckung und weitestgehender gesellschaftlicher Inklusion sollen wir also bei den Hilfebedürftigsten anfangen, bei schwerst Mehrfachbehinderten, multisensorisch und mental schwer beeinträchtigten, bei völlig gelähmten und beatmeten Menschen, bei Appallikern, schwer Gehirn-Verletzten oder Erkrankten usw., also bei jenen Mitmenschen, die, nach der zuvor angeprangerter Denkweise, heute meistens abgeschobenen, ausgesondert und vernachlässigt werden. Dieses Prinzip müssen wir konsequent umkehren, dann erst werden wir das Gesamtproblem in den Griff bekommen.
Weiter zu den Beiträgen DsH_ad_FJH21-13_2, DsH_ad_FJH21-13_3 und DsH_ad_FJH21-13_4
Gerhard Lichtenauer, Österreichische Bürgerinitiative “Daheim statt Heim” (www.daheim-statt-heim.katja.at) und Katja’s Blog (www.katja.at)
ORIGINALTEXT zu FJH21-13 -Quelle: http://www.franzhuainigg.at/cgi-bin/fjh21.cgi?_13 (15.09.2008)
WEITERENTWICKLUNG DES PFLEGESYSTEMS DURCH ÖSTERREICHFONDS
“Die Finanzierung der Pflege muss auch in Zukunft gewährleistet sein. Die Einrichtung eines Österreichfonds soll das sichern”, diesen Vorschlag zur Weiterentwicklung unseres Pflegesystems nannte Vizekanzler Wilhelm Molterer bei seiner “Rede zur Lage der Nation”.
Dass unser Pflegesystem angesichts der demographischen Entwicklung dringend eine Weiterentwicklung braucht, steht fest. Nun gibt es einen ersten Finanzierungsvorschlag, wie sich das umsetzen lässt. Der Pflegefonds, wie ihn Wilhelm Molterer vorschlägt, soll aus Erlösen der Privatisierung gespeist werden und ähnlich wie der Familienlastenausgleichsfonds wirken. Im Pflegebereich könnten dadurch neue Pflegemöglichkeiten geschaffen und ausprobiert werden. – Etwa Tagesstrukturen, damit pflegende Angehörige auch einer Beschäftigung nach gehen können. Es braucht weiters finanzierbare Modell für ältere und behinderte Menschen, die keine Rund-um-die-Uhr-Betreuung brauchen, sondern nur stundenweise Unterstützung.
Bei der Weiterentwicklung des Pflegesystems geht es neben der Sicherung der Finanzierung vor allem um die Entlastung pflegender Angehöriger. 80 Prozent aller pflegebedürftigen Menschen werden zu Hause gepflegt.
Neben Forderungen und Anliegen gibt es aber auch Verbesserungen, die durchgesetzt werden konnten: Es ist gelungen, durch die 24h-Betreuung ein legales und leistbares System für ältere und behinderte Menschen zu schaffen, die rund um die Uhr einen Pflegebedarf haben. Dies war ein wichtiger erster Schritt, da Pflege nicht in einem legalen Graubereich stattfinden darf.
Durch die Novelle zum Gesunden- und Krankenpflegegesetz dürfen jetzt auch Persönliche AssistentInnen und PersonenbetreuerInnen im Rahmen der 24h-Betreuung Pflegetätigkeiten legal durchführen.
UND WAS MEINEN SIE?
Falls Sie betroffen sind: Welche Probleme haben Sie im Pflegebereich?
Welche Maßnahmen braucht es, um pflegende Angehörige weiter zu unterstützen?
Haben Sie Angst pflegebedürftig zu werden?
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